<b>Der historische Hintergrund</b>
<p>Das Gebiet rund um den Walddistrikt „Wilde Sau“ war nach monatelangen Kämpfen zum „Killing Field“ der Westfront geworden. Regimenter dreier amerikanischer Divisionen, der 9., der 28. und der 4., hatten hier gekämpft und hohe Verluste erlitten. Die Soldaten beider Seiten hatten unbeschreibliches Grauen erlebt. Der deutsche Leutnant Friedrich Lengfeld hatte einen verletzten G.l. aus dem Minenfeld gerettet und war dabei selber tödlich verwundet worden. Eine zweitausend Mann starke, zur Hälfte aus Offiziersanwärtern zusammengestellte deutsche Einheit, das Regiment Wegelein, hatte bei seinem übereilten Angriff im Oktober 1944 in nur einer Nacht 500 Mann verloren. Ihr Kommandeur, Oberst Wegelein, wurde tödlich getroffen, als er, gegen jede militärische Regel, vor den eigenen Reihen patrouillierte. Eine andere Einheit, das Pionier-Ersatz-Bataillon 253, kam mit 800 Mann in den Hürtgenwald und wenige Wochen später waren nur noch ganze 45 Soldaten übrig.</p>
<p>Mit der 8. Division sollte nun im November 1944 eine weitere US-Einheit versuchen, Hürtgen einzunehmen. Einer ihrer Kompanieführer war Paul Boesch, und wie der Name schon anklingen lässt, war auch er, wie viele seiner Kameraden, deutschstämmig. Der Historiker Stephen Ambrose gibt in seinem Buch „Citizen Soldiers“ an, dass mehr als dreißig Prozent aller US-Soldaten auf dem europäischen Kriegsschauplatz deutscher Abstammung gewesen sein sollen. Selbst die Namen vieler hoher Offiziere weisen darauf hin, wie der des Kommandeurs der „Big Red One“, General Clarence Huebner, oder der von Boeschs Divisionsführer, Generalmajor Donald A. Stroh. Selbst der Oberkommandierende der alliierten Expeditionsstreitkräfte, General Eisenhower, entstammte einer Familie rheinischer Mennoniten.</p>
<p>Als Paul Boesch zum ersten Mal vom Hürtgenwald hörte, lag er mit seiner Einheit weiter südlich an der luxemburgischen Grenze. In seiner Erinnerung „Road to Huertgen, Forest in Hell“ beschrieb er die dunklen Vorahnungen, die so typisch waren für viele, die in den Hürtgenwald zogen und die selbst Hemingway empfunden hatte. Er begegnete einem Offizier der 28. Division, die in der Allerseelenschlacht so furchtbar gelitten hatte, und deren Platz die 8. jetzt einnehmen sollte:</p>
<p>„Bevor er sich zur Ruhe begeben konnte, fragten wir ihn frei heraus, was denn dran wäre an den Gerüchten über den Hürtgenwald. ‘Es ist die Hölle!’ murmelte er tonlos, ‘die reine, unverfälschte Hölle – das ist das einzige Wort dafür: Hölle!’ Ein wildes Funkeln schien aus seinen Augen zu kommen: ‘Ihr habt davon nichts gehört, weil sie Angst haben, mit euch darüber zu reden. Ganz einfach Angst, darüber zu reden. Die Deutschen haben unsere Division in Stücke gerissen, einfach zerfetzt. Und sie haben auch aus anderen Einheiten die Scheiße rausgeprügelt. Ich bin bei der Division, seitdem wir in Frankreich gelandet sind, aber so was habe ich noch nicht gesehen. Da sind nur Granaten, Panzer und Minen! Überall Minen – Gottallmächtiger, diese Minen. Und ‘Jerries’, überall hartnäckige und entschlossene ‘Jerries’.“</p>
<p>Boesch beschreibt auch die Absurditäten des Krieges: Wie der Regimentsstab darauf besteht, den Soldaten in den vorderen Linien am Thanksgiving Day ihren Truthahn zukommen zu lassen und durch diese Aktion mehrere Soldaten ums Leben kommen. Wie Boesch mit seiner Einheit für 48 Stunden in einer Senke vor Hürtgen unter deutschem Feuer liegt, ohne dass ihm irgendeine Einheit zu Hilfe kommt, und er stattdessen per Funk den Befehl erhält, zwei Soldaten zum Urlaub nach Paris abzukommandieren.</p>
<p>Der 8. Division gelang es schließlich Ende November Hürtgen einzunehmen und wenige Tage später Bergstein zu erreichen. Für die Erstürmung des strategisch wichtigen Burgbergs war aber auch diese Einheit nach den wochenlangen Kämpfen zu ausgemergelt; er wurde letztendlich unter großen Opfern am 7. Dezember 1944 durch das 2. Ranger-Bataillon gestürmt. Doch erst lange nach der deutschen Gegenoffensive in den Ardennen, am 1. März 1945, gelang es der Ersten US-Armee, die dem „Hill 400“ gegenüberliegende Stadt Nideggen einzunehmen.</p>
<p>Wie viele seiner Kameraden war Paul Boesch eigentlich Zivilist und kein Berufssoldat (er war einer der ersten „Wrestler“/ Ringer der USA) und wäre dies auch gerne geblieben. Viele der jungen Männer, die Tausende von Kilometern fern ihrer Heimat kämpften, hatten eben erst die High School verlassen oder mussten eine hoffnungsvolle Berufskarriere aufgeben. Auch auf der deutschen Seite gab es neben fanatischen Nazis Familienväter, Männer mit Hoffnungen und Bindungen, denen der Kampf und der damit verbundene Tod nicht als das höchste Opfergut erschienen und die, so sie den Krieg überlebten, ein Leben lang von traumatischen Erinnerungen geplagt wurden. Die, die umkamen, wurden und werden noch immer als „Gefallene“ bezeichnet, ein Euphemismus, denn in Wirklichkeit waren sie krepiert oder von einer Granate zerfetzt worden und auf jeden Fall ums Leben gekommen, getötet worden. Für viele der Kriegstoten gab es auf Jahre hinaus noch nicht einmal eine Bestattung. Erst der Initiative des ehemaligen Pionierhauptmanns Julius Erasmus, der schon vor dem Krieg in Vossenack lebte und beim Festungspionierstab auf Schloss Burgau tätig war, war es zu verdanken, dass über 1.500 deutsche Soldaten geborgen werden konnten. Erasmus ist mit seiner privaten Initiative immer wieder bei den Behörden angeeckt und sein Verschwinden aus der Region hat viele Gerüchte entstehen lassen. Tatsache ist, dass er jahrelang nur wenige Kilometer weiter in Abenden gelebt hat und 1971 im Krankenhaus Lendersdorf verstarb.</p>
<p>Der großflächige Waldbrand von 1947 hatte es überhaupt erst möglich gemacht, in die verminten und mit Kampfmitteln verseuchten Wälder hinein zu kommen, da durch die Brände viele Blindgänger nachträglich explodiert waren. Es war der heißeste Sommer seit langem und die überall verstreuten Phosphorgranaten setzten den niedergeschossenen Wald, der extrem ausgetrocknet war, in Brand. Bis in den Oktober sollten Feuerwehren aus der gesamten Region an den Löscharbeiten beteiligt sein. Erst die herbstlichen Regenfälle beendeten die monatelangen Feuer. Links und rechts der heutigen B 399 war buchstäblich verbrannte Erde und die Bilder der verkohlten Baumstümpfe gingen als Symbol der Schlacht im Hürtgenwald durch die Presse. Vor allem der Kölner Fotograf Hermann Claasen hat diese infernalische Landschaft festgehalten.</p>
<p>Noch Jahre nach den Kämpfen kam es zu Opfern unter der Zivilbevölkerung. In den Hungerwintern gingen die aus der Evakuierung zurückgekehrten Einwohner in die Wälder, um vor allem aus verlassenen amerikanischen Stellungen Konserven zu holen. Hierbei kam es zu verheerenden Minenunglücken, viele Kinder und Jugendliche kamen durch den Umgang mit Fundmunition ebenfalls ums Leben. Auch die Minenräumer, oft Kriegsgefangene, die sich freiwillig für die Arbeit in den „Dienstgruppen“ gemeldet hatten, waren vor Unglücken nicht sicher, über 120 von ihnen kamen bis weit in die 1950er Jahre hinein ums Leben. Heute ist der Hürtgenwald – dem sein Name während der Kämpfe 1944/45 durch die Amerikaner verliehen wurde, denn sie erinnerte der Name des Ortes Hürtgen an das englische Wort „to hurt“, verletzen, mit einer deutschen Endung – wieder eine wunderschöne Landschaft. Nur wer genau hinschaut, sieht die alten Stellungen und erkennt die wenigen Bäume, welche die Kämpfe und Brände überstanden haben.</p>