<b>Der historische Hintergrund</b>
<p>Wenige Tage nach dem Desaster der „Allerseelenschlacht“ begann am 16. November 1944 mit der „Operation Queen“ der von Eisenhower geplante Vorstoß zum Rhein mit dem größten taktischen Luftangriff zur Unterstützung von Bodentruppen während des gesamten Zweiten Weltkrieges. Tausende Bomber und andere Flugzeuge legten Düren, Jülich und weitere Städte und Dörfer in Schutt und Asche, und nach einem stundenlangen Artillerie-Bombardement begann am Nachmittag der Angriff mit dem Schwerpunkt im „Stolberg-Korridor“. Doch auch dieser Vorstoß scheiterte am deutschen Widerstand, blieb im Schlamm der Rurebene und vor allem in den dichten Forsten des Hürtgenwaldes stecken. Hier war es die 4. US-Division und vor allem dessen 22. Regiment, das den flankierenden Angriff auf Großhau und Gey mit hohen Verlusten zu bezahlen hatte. Nach drei Wochen waren auf den acht Kilometern Geländegewinn fast alle Soldaten und Offiziere der Kampfkompanien getötet oder verwundet und fast 2.000 Ersatzsoldaten an die Front geschickt worden, junge Grünschnäbel, von denen wiederum viele starben und verwundet wurden, denn niemand hatte sie auf die grausamen Bedingungen der Waldkämpfe vorbereitet.</p>
<p>„Der Wald war ein höllenmäßig schauriger Platz zum Kämpfen. Zeig mir einen Mann, der im Hürtgenwald gekämpft hat, und der sagt, er hätte nie ein Gefühl der Angst gehabt, und ich zeige dir einen Lügner. (...) Jeder ist kalt und nass und diese Mischung aus kaltem Regen und Graupel fällt weiter. Und dann stürmen sie wieder los und bald ist nur noch eine Handvoll der alten Männer übrig.“ (George Morgan, Veteran)</p>
<p>Den deutschen Landsern vom zusammen gewürfelten LXXIV. Korps erging es nicht besser, und ohne Hoffnung auf irgendeinen Ersatz an Soldaten und Material mussten sie sich Anfang Dezember schließlich aus dem Wald zurückziehen.</p>
<p>Mit der neuen Offensive kam ein weltbekannter Schriftsteller in den Hürtgenwald: Ernest Hemingway. Als Korrespondent für das Magazin <i>Collier’s</i> hatte er schon über die Landung in der Normandie, die Einnahme von Paris und die Eroberung der Siegfried-Linie berichtet. Doch der Aufbruch in den deutschen „Drachenwald“ hatte auch bei ihm dunkle Vorahnungen geweckt. Seinen Freund, den Regimentskommandeur Oberst Lanham, plagten schreckliche Todesgefühle, die Stimmung war düster und sie hatte nichts mehr mit dem Siegesrausch früherer Treffen gemein. Hemingway, auf der Suche nach Material für seinen großen Roman über den Zweiten Weltkrieg, schrieb letztlich nie eine Reportage über den Hürtgenwald. Lediglich in einem seiner letzten Romane „Über den Fluss und in die Wälder“ erwähnte er auf wenigen Seiten das Grauen der Waldkämpfe:</p>
<p>„Wir bekamen eine gewisse Menge Ersatz, aber ich kann mich besinnen, dass ich dachte, es würde einfacher und zweckdienlicher sein, sie in der Gegend, wo man sie auslud, zu erschießen, als den Versuch machen zu müssen, sie von dort, wo sie getötet wurden, zurückzuschaffen und zu begraben.“</p>
<p>In diesem Text ist nichts mehr von der Heroisierung des Krieges und des Mannesmutes zu spüren, für die Hemingway bekannt war. Als der spätere Nobelpreisträger Anfang Dezember 1944 zurück nach Paris kam, war er wochenlang nicht ansprechbar und litt vermutlich an einer Lungenentzündung. Er kehrte nur noch einmal, während der Ardennen-Offensive, kurz an die Front zurück – seinen großen Roman über den Zweiten Weltkrieg sollte er nie schreiben.</p>
<p>Es ist immer wieder darüber spekuliert worden, inwieweit Hemingway die Linie zwischen Korrespondent und Krieger überschritten hat, es wurde ihm posthum sogar vorgeworfen, er habe deutsche Kriegsgefangene erschossen. Tatsächlich hat sich Hemingway in Briefen geäußert, er habe sowohl einen „besonders frechen SS-Mann“, der sich bereits ergeben hatte, wie auch einen flüchtenden jungen deutschen Soldaten, erschossen. Später gab Hemingway an, 26 Deutsche, zum Schluss sogar 122 „Krauts“, wie er sie nannte, getötet zu haben. Abgesehen davon, wie Hemingway auf diese genaue Zahl gekommen sein will, ist bei all diesen Selbstbezichtigungen Vorsicht geboten, denn Hemingway war zu dieser Zeit durch seine Alkoholkrankheit, vor allem aber durch seine bipolare Störung (die letztendlich zu seinem Selbstmord führte) erheblich in seiner Wahrnehmung gestört. In manischen Phasen neigte er dazu, selbst dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die wüstesten Briefe zu schicken. Und obwohl die „Selected Letters“ in den frühen 1980ern veröffentlicht wurden, ließ sich bis heute kein einziger dieser Fälle beweisen. Professor William E. Cote kommt in seinem 2002 in der Hemingway Review erschienenen Essay zu dem Schluss, dass das düstere Bild vom Kraut-killenden Hemingway wohl mehr der Vorstellung des Romanautors von sich selbst entspricht.</p>
<p>Tatsache ist, dass Hemingway schon während des Zweiten Weltkriegs dafür sorgte, die Legenden seiner „Heldentaten“ in Umlauf zu bringen. So hat sogar sein Bruder Leicester die (von E. H. erfundene) Story wiedergegeben, Ernest hätte am D-Day an Omaha Beach gekämpft. In Wirklichkeit hatte er am 6. Juni 1944 die Kämpfe nur von einem Landungsboot vom Meer aus betrachtet. Im August 1944 kam es zum „Zwischenfall von Rambouillet“, wo Hemingway – kurz vor der Einnahme von Paris – eine Gruppe französischer Partisanen befehligt haben soll und dafür von anderen Korrespondenten angezeigt wurde. Es kam zu einer Untersuchung und am 4. Oktober 1944 zu einer Anhörung in Nancy. Hemingway wurde u.a. vorgeworfen, bewaffnet gewesen zu sein, seine Korrespondentenabzeichen entfernt und sich als Oberst ausgegeben zu haben. Hemingway, der unter Eid aussagte, konnte die Vorwürfe geschickt entkräften. In einer Nachkriegsversion des Vorfalls behauptete er jedoch, mindestens 200 Partisanen unter seinem Kommando gehabt zu haben. Dazu sein Korrespondentenkollege William Walton 1993 in einem Interview für die Kennedy Library:</p>
<p>„Er war ein Geschichtenerzähler. Er wusste nicht, wo Wahrheit und Dichtung aufhörten. Und immer wieder, wenn wir zusammen waren, erzählte er mir eine Geschichte und dann schaute ich ihn befremdet an und er sagte: Du glaubst mir nicht, oder? (Walton lacht) Und ich sagte: Nein, tu’ ich nicht. Er sagte: Da hast du aber total recht.“ (Walton lacht)</p>
<p>Der wahrscheinlichste Vorfall, bei dem Hemingway zur Waffe griff, scheint sich ausgerechnet im Hürtgenwald abgespielt zu haben. Nach den verlustreichen ersten Tagen, während derer Lanham seine drei Bataillonskommandeure und viele weitere Offiziere und Soldaten verloren hatte, ordnete er für den 19. November eine Kampfpause an und verlegte seinen Gefechtsposten in den Bereich Rabenheck vor. Bei Einbruch der Dämmerung wurde dieser plötzlich von versprengten Deutschen angegriffen. Als Lanham während des Feuerüberfalls zu seinen Leuten eilte, sah er mittendrin Hemingway: „Und dieses Mal war er bewaffnet und er benutzte diese Waffen.“ (Lanham Papers, University of Princeton) Doch auch hier tut sich eine Kontroverse auf: William Walton, Autor der berühmten TIME-Reportage über die Einnahme von Großhau, behauptete 1993: „Wir, er und ich, haben nie während der gesamten Hürtgenwald-Schlacht eine Waffe getragen. Ich kann das bezeugen.“</p>
<p>Ebenso verwunderlich ist, dass dieser Vorfall, der alle Insignien einer Hemingway-Story trägt – ein böser deutscher Hinterhalt im finsteren deutschen Märchenwald und die heldenhafte Verteidigung des Regimentsgefechtsstands durch E. H. – nirgendwo in seinen Geschichten vorkommt.</p>
<p>Lediglich in einem Brief an Lanham von 1945 gibt es eine vage Andeutung. Dabei hätte man Hemingway in diesem Fall noch nicht mal einen Vorwurf machen können, denn die Abwehr eines deutschen Überfalls weit hinter der Frontlinie durch einen Reporter hätte vor jedem Gericht der Welt als Notwehr gegolten.</p>
<p>Wenige hundert Meter weiter südlich war zu diesem Zeitpunkt ein weiterer Autor im Hürtgenwald: Der junge Jerome D. Salinger, der als Mitglied des Counter Intelligence Corps (Militärischer Abwehrdienst) dem 12. Regiment zugeteilt war. Er hatte Hemingway bereits in Paris getroffen und es gibt Hinweise, dass der alte und der kommende Meister der amerikanischen Literatur sich während dieser Zeit hinter den Kampflinien getroffen haben. Salinger hat später gesagt: „Wann immer ich ein leeres Schützenloch vorfand, begann ich zu schreiben.“ Die ersten sechs Kapitel seines späteren Welterfolges „Der Fänger im Roggen“ soll er im Hürtgenwald erarbeitet haben. Der erste Übersetzer der deutschen Ausgabe war ausgerechnet Heinrich Böll, der nach dem Krieg auch ein Haus in Großhau besaß und vermutlich gar nicht wusste, dass die Legende der nordamerikanischen Literatur nur wenige Meter entfernt davon gekämpft hatte. Die brutalen Kämpfe im Hürtgenwald waren an Salinger nicht spurlos vorbeigegangen. 1945 war er für einige Monate in psychiatrischer Behandlung und sein Biograf lan Hamilton („Auf der Suche nach J. D. Salinger“) sieht die große Wandlung, die Salinger durchmachte – vom begabten satirischen Autor der frühen 1940er Jahre zum Weltschriftsteller der Nachkriegszeit – in den fürchterlichen Erlebnissen in und um Großhau herum begründet.</p>